Wasser – die Kohle der Zukunft
„Ich bin davon überzeugt, dass das Wasser dereinst als Brennstoff Verwendung findet, dass Wasserstoff und Sauerstoff, seine Bestandteile, zur unerschöpflichen und bezüglich ihrer Intensität ganz ungeahnten Quelle der Wärme und des Lichts werden. Das Wasser ist die Kohle der Zukunft.“
Kein Geringerer als Jules Verne hat diese Worte einer seiner Romanfiguren in den Mund gelegt. Das war im Jahr 1874. Der französische Schriftsteller sollte Recht behalten. Wasserstoff ist ein Alleskönner. Er dient als Kühlmittel, er kann mithilfe von Brennstoffzellen Elektromotoren antreiben oder Strom und Wärme liefern. Ohne Wasserstoff gäbe es keine Flüge in den Weltraum. Und ihm wird, da er im Gegensatz zu Kohle, Erdöl und Erdgas beim Verbrennen keine schädlichen Abgase erzeugt, ein immenses Zukunftspotenzial zugesprochen. Das Hydrogenium, so der lateinische Begriff, soll eine tragende Rolle beim anvisierten Klimawandel einnehmen. Deutschland will bei der Nutzung dieses Stoffs weltweit in der ersten Liga spielen. Erst im vergangenen Juni hat die Bundesregierung eine Nationale Wasserstoffstrategie beschlossen und Milliardenzuschüsse bewilligt, um dieses hochgesteckte Ziel zu erreichen.

Nahezu unerschöpflich
Wasserstoff ist ein sehr reaktionsfreudiges Element. Mit Sauerstoff bildet es ein hochexplosives Gemisch – unvergessen sind die Bilder des Luftschiffs Hindenburg, das 1937 bei der Landung im amerikanischen Lakehurst in Flammen aufging. Doch gerade diese Reaktivität macht dieses chemische Element als Energieträger und Rohstoff so interessant. Da er in allen lebenden Organismen vorkommt, ist er nahezu unbegrenzt verfügbar. In einer reinen Form gibt es ihn in der Natur aber nicht. Vielmehr findet sich das farb- und geruchlose Gas, das an der ersten Stelle des Periodensystems steht und 14,5 Mal leichter ist als Luft, gebunden in Wasser, Säuren oder Kohlenwasserstoffen. Deshalb sind große Mengen an Energie erforderlich, um das Wasserstoffmolekül abzuspalten – eine Herausforderung für die Technologie.
Zukunft gehört grünem Wasserstoff
Der größte Teil des benötigten Wasserstoffs wird aktuell durch eine sogenannte Dampfreformierung produziert. Dabei wird Erdgas unter Hitze in Wasserstoff und Kohlendioxid umgewandelt. Man spricht in diesem Fall von grauem Wasserstoff. Bei dieser Methode wird nicht nur viel Energie verbraucht, es entsteht auch jede Menge Kohlendioxid, das für den Treibhauseffekt verantwortlich ist. Die Zahlen sprechen für sich: bei der Herstellung von einer Tonne Wasserstoff wird das Zehnfache des schädlichen Kohlendioxids freigesetzt. Die Zukunft gehört deshalb dem klimaneutralen sogenannten grünen Wasserstoff. Er wird per Elektrolyse aus erneuerbaren Energien wie Wind- und Solarkraft gewonnen. Sein Anteil ist im Moment noch verschwindend gering. Nur sieben Prozent des deutschen Wasserstoffbedarfs wird durch Elektrolyseverfahren gewonnen. Darüber hinaus gibt es noch einen blauen Wasserstoff. Er wird wie grauer Wasserstoff produziert, das dabei entstehende Kohlendioxid wird aber unter der Erde gespeichert.
Ausweg aus der Klimakrise
Der Meeresspiegel steigt dramatisch, die Gletscher schmelzen, ganze Arten sterben aus, weltweit nehmen Dürren zu – der Klimawandel und die damit verbundenen Veränderungen der Umwelt sind drängende Fragen unserer Zeit. Einen Ausweg aus der Klimakrise, darin sind sich die Experten einig, weist der Wasserstoff. Mit Hilfe dieses leichtesten und am häufigsten vorkommenden chemischen Elements wollen sie in eine saubere und sichere energiewirtschaftliche Zukunft aufbrechen. Sie sehen im Wasserstoff das Potenzial, langfristig eine klimaneutrale Industrie aufzubauen. Aber vor allem auch bei der Mobilität bietet dieses Gas eine Alternative. Als Treibstoff für emissionsfreie Brennstoffzellen soll es in naher Zukunft nicht nur Autos in Bewegung setzen, sondern auch Lastwagen, große Busse, Lastschiffe und sogar Flugzeuge. Anstelle des schädlichen Kohlendioxids, das herkömmliche Verbrennungsmotoren auspusten, stoßen diese Verkehrsmittel nur Wasser aus.

Ringen um die Technologieführerschaft
Deutschland ist nicht das einzige und auch nicht das erste Land, das eine Wasserstoffstrategie beschlossen hat. Insgesamt beanspruchen 20 Staaten die Technologieführerschaft in der Wasserstoffwirtschaft. Allen voraus ist Japan. Aber auch Frankreich, die Niederlande und Süd-Korea, um nur einige zu nennen, sind früher dran als Deutschland. Auch die USA sind ein starker Konkurrent. Da sich in den Vereinigten Staaten von Amerika die Preise für regenerative Energien laut einer Analyse der US-Bank Morgan Stanley im Sinkflug befinden, könnte der grüne Wasserstoff dort schon in drei Jahren genauso günstig sein wie der graue. Aber auch in Deutschland tut sich etwas. Shell hat es sich auf die Fahnen geschrieben, die Nummer eins für grünen Wasserstoff zu werden. In der Rheinland-Raffinerie, der größten Rohölverarbeitungsstätte Deutschlands, sollen künftig anstelle des Rohöls zu jeweils einem Drittel grüner Wasserstoff, Biokraftstoff und synthetische Kraftstoffe produziert werden. Das gesteckte Ziel ist ehrgeizig: Bis 2050 will das Unternehmen in Deutschland keine fossilen flüssigen Brennstoffe mehr verkaufen. „Wir werden ein völlig neues Unternehmen sein“, so der Shell-Deutschlandchef Fabian Ziegler.
Jüngste Ankündigungen im Bereich Wasserstoff durch Regierungen weltweit
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Hoffen auf neue Technologien
Auf dem Weg in eine Wasserstoff-Zukunft müssen aber auch noch viele Hürden genommen werden. Dringend geboten ist ein Ausbau der regenerativen Energien, um langfristig auf den grauen Wasserstoff mit seinen hohen Kohlendioxidemissionen verzichten zu können. Noch wird dieses durch Dampfreformierung produzierte Gas weltweit am meisten genutzt. Der Grund dafür liegt auf der Hand. In punkto Rentabilität schlägt der graue den grünen Wasserstoff mit seinen hohen Produktionskosten um Längen. Ein weiteres Problem: das kohlendioxidfreie Gas, das durch Elektrolyse mit ausschließlich regenerativ erzeugtem Strom aus Wasser abgespalten wird, kann noch nicht in großem Maßstab hergestellt werden. Aber viele kleinere Anlagen, die bereits in Betrieb sind, geben Hoffnung, dass sich das schon bald ändert. Denn auf diesem Sektor wird, nicht zuletzt wegen des Vorpreschens jener Staaten, die auf Wasserstoff setzen und bereit sind, Milliarden an Fördergeldern zu investieren, weltweit geforscht. Auch neue Verfahren, wie etwa die Hochtemperatur-Elektrolyse oder die Methan-Pyrolyse, die weit weniger Energie verbraucht als die Wasser-Elektrolyse, sind in der Entwicklung. Einen Beitrag zu einer sogenannten Dekarbonisierung der Energiewirtschaft könnte nach Auffassung der Experten auch der blaue Wasserstoff leisten. Wie beim grauen Wasserstoff entsteht bei dessen Herstellung Kohlendioxid. Es wird allerdings nicht in die Atmosphäre geblasen, sondern unterirdisch gespeichert. In der Nordsee könnten 2000 Milliarden Tonnen des Treibhausgases gelagert werden, davon 67 Milliarden Tonnen allein auf norwegischem Seegebiet.
Infrastruktur muss geschaffen werden
Wer auf Wasserstoff setzt, muss es auch zum Verbraucher bringen. Dazu ist eine flächendeckende Infrastruktur nötig. Zurzeit wird darüber nachgedacht, Gaspipelines zu nutzen und darüber hinaus spezielle Wasserstoff-Pipelines zu bauen. Bis zum Jahr 2030 soll in Deutschland ein Wasserstoffnetz mit einer Länge von mehr als 1.200 Kilometer Länge vorhanden sein.